Nachhaltigkeit ist nicht genug: Warum wir alle mehr den Handstand machen sollten

Im letzten Beitrag haben wir versucht, die Begriffe ESG und Nachhaltigkeit zu erklären und am Ende darauf hingewiesen, dass sich Unternehmen für einen echten Wandel auf regenerative Ziele konzentrieren sollten. Aber was sind regenerative Ziele überhaupt und was hat das mit einem Handabdruck zu tun?

Geschrieben von: Marc Böhlen | 11.08.2022

Die Anforderungen an die Nachhaltigkeit steigen mit jedem negativen Bericht über den Klimawandel. Viele Unternehmen erkennen daher zunehmend, dass die Integration von Nachhaltigkeit in die Strategie entscheidend ist. Als eine der ersten Massnahmen konzentrieren sich die Unternehmen darauf, ihre bestehenden Prozesse zu verbessern, um einen Teil der Schäden zu minimieren, die mit ihrem Geschäft verbunden sind. Dieser Ansatz kann als Minimierung des Fussabdrucks bezeichnet werden. So ersetzen sie beispielsweise ihre Fahrzeugflotte durch Elektrofahrzeuge oder stellen den Strommix auf einen grüneren um.


All diese offensichtlichen Nachhaltigkeitsstrategien zielen darauf ab, "mit weniger mehr zu erreichen", d. h. mehr wirtschaftlichen Wert zu schaffen, indem weniger Emissionen verursacht und weniger natürliche Ressourcen verbraucht werden. Diese Einstellung, weniger Schaden anzurichten, reicht jedoch aus u.a. drei Gründen nicht aus:
  • Erstens nehmen die weltweiten, vom Menschen verursachten Emissionen weiter zu, was den Klimawandel stark beschleunigt. Verschiedene Forscher warnen derzeit sogar davor, dass die schlimmsten Szenarien schneller Realität werden könnten, als wir bisher angenommen haben. Zudem werden immer mehr neue Erkenntnisse über die Überschreitung sogenannter planetarer Grenzen bekannt. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/klimawandel-menschheit-bedrohung-100.html
  • Zweitens ist trotz aller bisherigen Bemühungen noch keine Trendwende bei der Ausbeutung des Planeten zu erkennen: Der Earth Overshoot Day - der Zeitpunkt im Jahr, an dem der Verbrauch der Menschheit an natürlichen Ressourcen die Regenerationsfähigkeit des Planeten übersteigt - war in diesem Jahr am 28. Juli! https://www.overshootday.org/
  • Drittens wollen immer mehr Konsument*innen, dass die Unternehmen weit über die Nachhaltigkeit hinausgehen und "mehr Gutes" für den Planeten tun. Sie eignen sich immer mehr und neue Kenntnisse an und fordern dies aktiv ein, auch im Hinblick auf die Transparenz. Nachhaltigkeit kann immer weniger als reines Marketingelement eingesetzt werden (Stichwort: Greenwashing). https://klardenker.kpmg.de/customer-insights-hub/nachhaltigkeit-sorgt-fuer-kundenerlebnis-und-zufriedenheit/
Unsere Lebensgrundlagen müssen repariert und regeneriert werden. Um dem gerecht zu werden, gibt es für die Unternehmen bereits einen weiteren Lösungsansatz: Die Maximierung des Handabdrucks. Unternehmen sollten also ihr Kerngeschäft nutzen, um co-kreative Lösungen für die Probleme der Menschen und des Planeten zu finden. Die Maximierung der positiven Auswirkungen eines Unternehmens anstelle der Minimierung seiner negativen Auswirkungen erfordert jedoch einen Paradigmenwechsel. Der erste Schritt besteht darin, zu erkennen, dass ein Geschäftsmodell breiter angelegt sein sollte als nur ein Produkt/eine Dienstleistung. Ein Wechsel von Skalen- zu Verbundeffekten (von Economies of scale zu Economies of scope). Führungskräfte müssen sich daher in der Gemeinschaft engagieren und ihre Kräfte mit anderen Organisationen bündeln. Sie müssen Koalitionen bilden, eine Vorreiterrolle einnehmen und den Einfluss des Unternehmens zur Verbesserung von Gesellschaft und Umwelt nutzen. Sie müssen sich Themen wie die Kreislaufwirtschaft integrieren und zunehmend politische Lösungen fordern, wie etwa die Einführung einer realistischen CO2e-Preisgestaltung.

Ein gutes Beispiel für ein Unternehmen, das sich auf dem richtigen Weg zu einem regenerativen Geschäftsmodell befindet, ist Patagonia. Die Outdoor-Bekleidungsmarke ist Mitbegründerin des Programms "Regenerative Organic Certified", das Tierschutz, Fairness für Landwirte und strenge Anforderungen an die Biodiversität beinhaltet. Gleichzeitig sind sie sich bewusst, dass sie immer noch Teil einer Konsumgesellschaft sind, wie es ihr Gründer Yvon Chouinard in einem Interview ausdrückt: "Alles dreht sich um Wachstum, Wachstum, Wachstum - und das ist es, was den Planeten zerstört" [1]. Das Bewusstsein dafür ist vorhanden und das Unternehmen bemüht sich, seine Kunden auf vielfältige Weise zu einem verantwortungsvolleren Konsum mit transparenter Kommunikation und kreativen, unkonventionellen Lösungen zu motivieren.

Die Führungskräfte und Meinungsleader müssen sich bewusst sein, dass das System der Vergangenheit nicht ihr Fehler ist, aber dass die Veränderung des Systems in der Gegenwert aber ihre Verantwortung ist.

P.S. Der im Titel erwähnte Handstand ist also nicht nur besser für unsere Umwelt, weil er weniger Abdrücke hinterlässt, sondern soll anscheinend auch so gesund für uns Menschen sein. Wenn wir mehr Handstände machen, verbessern wir unsere Koordination und den Blutkreislauf. 

Bleib auf dem Laufenden:

Lies ebenfalls: