Die Herausforderungen eines freiwilligen Marktes

Grün fliegen ist heute schon möglich! Wirklich? Träumen darf man ja. Warum diese und ähnliche Behauptungen diverser Unternehmen (aktuell) leider nur greenwashing sind, welche Mechanismen dahinter stecken und weshalb die Bemühungen der Unternehmungen trotzdem wichtig sind, versuchen wir in diesem Beitrag zu erörtern.

Geschrieben von: Marc Böhlen | 20.10.2022

Unternehmen wenden sich zunehmend dem freiwilligen CO2-Kompensationsmarkt (engl. Voluntary Carbon Market oder kurz «VCM») zu - einem System für die Schaffung und den Handel mit CO2-Zertifiktate (nicht zu verwechseln mit dem EHS, siehe hier). Sie nutzen diesen Markt, um Emissionen, welche sie nicht reduzieren können oder wollen, zu kompensieren (engl. Offsetting / to offset). Hierzu lassen sie irgendwo in der Welt Bäume pflanzen, finanzieren Projekte zum Ersatz von Holzkohleöfen im globalen Süden, lassen riesige Solaranlagen in der Wüste bauen oder bezahlen indigene Bauern in Indonesien, dass sie ihren Wald nicht abholzen. Sie erwerben damit Zertifikate, die ausweisen, dass sie eine gewisse Anzahl an CO2-Emissionen ausserhalb ihrer Wertschöpfungskette reduziert haben. Da es dem VCM an robusten Qualitätskontrollen und Transparenz mangelt, sind viele dieser Projekte eher Ablenkungsmanöver als die Ursachen der Klimakrise sinnvoll anzugehen. Trotzdem sehen wir immer wieder mehr Firmen, welche in blumigen Marketingkampagnen ihre Produkte oder Dienstleistungen als «klimaneutral» oder «grün» bewerben und so die Konsument:innen in die Irre führen.

Dies zeigt vor allem auch das rasante Wachstum des VCM - er wird sich in den kommenden Jahren vermehrfachen, wobei das Handelsvolumen bereits heute 1 Milliarde Dollar übersteigt [1]. Anstatt die dringend notwendige Verringerung der CO2e-Emissionen anzugehen, schafft die aktuelle Struktur ein System, in dem Unternehmen sinnvolle Massnahmen auf der falschen Grundlage verzögern, dass sie ihre Emissionen mit den gekauften Zertifikaten "ausgleichen" können. Die sogenannten Gutschriften erwecken den Anschein, angesichts des kompetitiven wirtschaftlichen Umfeldes und des immer stärker werdenden Druck der Konsument:innen, eine relativ billige, schnelle Lösung zu sein.

Der freiwillige Markt ist nicht ohne Grund freiwillig - die Unternehmen wollen zu ihren Bedingungen teilnehmen, um das von ihnen gewünschte (kostengünstige) Ergebnis zu erzielen. Ohne formelle Verpflichtungen oder Aufsicht können die Unternehmen nach eigenem Gutdünken handeln und sich ihr Vorgehen schönreden. Der wissenschaftliche Konsens lässt jedoch keinen Spielraum für diese Art des Handeln. Nebst der fehlenden Transparenz und Qualitätskontrollen gibt es noch zwei weitere Probleme:

  1. Ein CO2-Zertifikat soll für eine Tonne absorbierter CO2e-Emissionen stehen. Diese Berechnung beruht jedoch auf der falschen Annahme, dass fossiler und biologischer Kohlenstoff gleichwertig sind, obwohl beide sehr unterschiedliche Lebenszyklen haben. Bäume z.B. sind Teil des schnellen, biologischen Kohlenstoffkreislaufs, der nicht dauerhaft ist (der gespeicherte Kohlenstoff wird freigesetzt, wenn sie verbrennen oder sich zersetzen), während fossile Brennstoffe dem langsamen Kohlenstoffkreislauf angehören, der Millionen von Jahren benötigt, um ins Erdinnere zu gelangen. Forstwirtschaftliche Projekte (also Bäume pflanzen) sind aufgrund der begrenzten Flächenverfügbarkeit, der kurzfristigen Zeitrahmen und der Bedrohung durch Brände und Überschwemmungen in ihrem Umfang und ihrer Dauer unzuverlässig [2].

  2. Der VCM wird teilweise als neue Form des Kolonialismus gesehen: Einige indigene Gemeinschaften lehnen die Märkte ab, während diejenigen, die sich um eine Finanzierung bemühen, paradoxerweise von den Zusätzlichkeitstandards ausgeschlossen werden können, da man davon ausgeht, dass sie die Ressourcen ohnehin schon verwaltet haben. Qualitativ hochwertige Projekte sollten stets auf die Zustimmung und Kontrolle der lokalen Bevölkerung Rücksicht nehmen, aber die betroffenen Gemeinschaften werden nur selten miteinbezogen. Auch systemische Faktoren spielen eine Rolle: So könnten beispielsweise die Auswirkungen einer massenhaften Aufforstung auf die Landnutzung und die Lebensmittelpreise die Armut noch verschärfen [3].

Unter Nachhaltigkeitsverantwortlichen sind diese Problematiken durchaus bekannt. Doch die Vielzahl unterschiedlicher Akteure, Methoden, Prüfer und schwacher Standards führt dazu, dass es faktisch unmöglich ist, hier einen klaren Durchblick zu behalten. Einmal verkauft, werden die Zertifikate noch undurchsichtiger. Es gibt keine Informationen darüber, wem die Hunderte von Millionen aktiver Zertifikate auf dem Markt gehören. In Registern werden Gutschriften erfasst, die als Kompensationsmittel verwendet wurden, aber sie enthalten häufig weder Informationen über den Eigentümer oder den Begünstigten noch über die Einzelheiten der spezifischen Projekte, was eine Qualitätsbewertung erschwert. Für Konsument:innen, Investor:innen oder andere Stakeholder ist zudem nicht ersichtlich, wohin diese Gelder fliessen, so dass es für sie ein Leichtes ist, nicht nachprüfbare Behauptungen aufzustellen [4].

Schlussfolgerung

Um eine wichtige Rolle bei der Finanzierung weiterer Klimaschutzmassnahmen zu spielen, muss sich der freiwillige Markt neu definieren. Transparenz und ökologische Integrität sind Schlüsselfaktoren: Unternehmen müssen in der Lage sein, den Stakeholder aufzuzeigen, welche ehrlichen Massnahmen sie ergreifen und bereit sein, diese offen zu kommunizieren (Der Schuhhersteller VEJA [5] ist hier ein gutes Beispiel mit dem Eingeständnis von Fehlern/Limitationen). Hierzu gibt es auch immer mehr Innovationen und neue regulatorische Bemühungen.

Eine mögliche Lösung bietet die Einführung eines dezentralisierten Verfahrens, mit dem Projekte registriert, Zertifikate überprüft und ausgestellt werden. Die Verifizierungsstellen sollten in der Lage sein, die Auswirkungen eines Projekts in regelmässigen Abständen und nicht nur am Ende zu verfolgen. Albo Climate [6] biete hier zum Beispiel eine Lösung basierend auf Satellitenbilder, Sensoren und dem Einsatz von Machine Learning zur Auswertung der Daten. Ein digitales Verfahren auf einer Blockchain könnte auch die Ausstellungskosten senken, den Geldfluss für Projektentwickler beschleunigen und vor allem die Glaubwürdigkeit von Kompensationen durch mehr Transparenz verbessern.

Weitere Verbesserungen wären die Einführung von Richtlinien zur Bekämpfung von Geldwäsche (analog der FINMA z.B.), sowie die Einrichtung eines unabhängigen Überwachungsstelle, welche die Eignung der Marktteilnehmer sicherstellt und ihr Verhalten überwacht.

Der Marktansatz zur Bewältigung eines globalen Umweltproblems darf keine Kommerzialisierung der Natur werden. Nichts desto trotz ist es sehr wichtig, dass sich Unternehmen schnell und proaktiv darum bemühen mit ihrer Wertschöpfung ein Teil der Lösung zu sein. Eine gewisse und gezielte Finanzierung zur Aufforstung von Wäldern oder neuen, nachhaltigen Energiequellen ist durchaus sinnvoll, jedoch muss der Einsatz gut recherchiert werden und mehr noch als bisher muss hier die Zusätzlichkeit eine zentrale Rolle spielen: Es muss sich um Emissionsminderungen handeln, die es ohne den freiwilligen Markt nicht gäbe [7]. Hier am Ball zu bleiben ist eine grosse Herausforderung für die Unternehmungen und deren Führungskräfte, jedoch lohnt es sich, um gegenüber sämtlichen Stakeholder ein verlässlicher, fortschrittlicher und transparenter Partner zu sein. Die wichtigste Massnahme ist und bleibt aber das sogenannte Insetting. Mehr zu dieser Strategie im nächsten Beitrag.

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